
„Wie herrlich leuchtet mir die Natur, wie glänzt die Sonne, wie lacht die Flur“
Liebe Freunde, Verwandten und Wohltäter,
im Mai fällt es uns nicht schwer, diese Zeilen von Goethe in ein Dankgebet umzuschreiben. Wenn wir die Worte dafür nicht finden, dürfen wir uns Verse aus dem Lobgesang der drei Jünglinge aus dem Buch Daniel ausleihen: „Preist den Herrn, all ihr Werke des Herrn, lobt und rühmt ihn in Ewigkeit“ (Dan 3,57). Natur und Kirchenjahr stimmen überein: alles ist frisch und schön; das Leben bricht sich Bahn. Die Natur preist Gott ohne Worte, die Christenheit stimmt das österliche Halleluja an. Friedrich von Spee hat die Natur und das Osterfest miteinander in Verbindung gebracht:
Jetzt grünet, was nur grünen kann. Die Bäum zu blühen fangen an.
Halleluja.
Es singen jetzt die Vögel all, jetzt singt und klingt die Nachtigall.
Halleluja.
Der Sonnenschein kommt jetzt herein und gibt der Welt ein neuen Schein.
Halleluja.
Wir sind in die österliche Zeit eingetreten. Diese fügt wie eine Klammer die Monate April, Mai und Juni zusammen. Am 20. April haben wir das Osterfest gefeiert, und am 29. Mai, dem 40. Tag nach Ostern, begehen wir den Tag von Christi Himmelfahrt. Beide Festgeheimnisse haben für uns nicht nur historische Bedeutung. Die Auferstehung Jesu und seine Rückkehr zum Vater betreffen auch uns. Als der auferstandene und erhöhte Herr ist Jesus nicht mehr an Raum, Zeit und Schwerkraft gebunden. Er lebt und ist wie ein Freund oder Bruder um uns besorgt. Er bietet uns seine Freundschaft an, und wir sind eingeladen, seine Hand zu ergreifen. Wir erkennen ihn meistens nicht gleich. Er verbirgt sich in einem freundlichen Mitmenschen, in einer „zufälligen“ Begegnung, in einem überraschenden Ereignis, in einem überwältigenden Erlebnis, in einer beglückenden Erkenntnis, in einem Wort aus dem Evangelium oder aus einer Predigt, das uns ins Herz trifft.
Er geht unseren Lebensweg mit uns – so wie er mit den zwei Jüngern, die am Morgen des Ostertages von Jerusalem nach Emmaus wanderten (Lk 24,13-35), ein Stück des Weges gegangen ist. Auch sie erkannten ihn nicht gleich. Zu diesem „Emmausweg“ gehörte auch die Erklärung der Schriften des Alten Testamentes, in denen das Schicksal Jesu wie von ferne vorgezeichnet ist. Neben den heiligen Schriften war es das „Brotbrechen“, an dem die beiden Jünger den auferstandenen Herrn schließlich erkannten. Ist es nicht heute noch so? In der Heiligen Schrift und im Abendmahl erkennen wir den Herrn.
Bleibe bei uns, du Wandrer durch die Zeit!
Schon sinkt die Welt in Nacht und Dunkelheit.
Geh nicht vorüber, kehre bei uns ein.
Sei unser Gast und teile Brot und Wein.
(Peter Gerloff, GL Nr. 325)
Dem Apostel Thomas, der einen Beweis für die Auferstehung wollte, sagte Jesus: „Selig, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29). Jesu Worte vergehen nicht, und so sind auch wir ganz persönlich damit gemeint.
Die zehn Tage zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten sind dann noch ein eigener Abschnitt der österlichen Zeit. Er geht zurück auf das Wort Jesu, das er unmittelbar vor seiner Himmelfahrt seinen Jüngern sagte: „Bleibt in der Stadt, bis ihr mit der Kraft aus der Höhe erfüllt werdet“ (Lk,24,49). Jesus meinte damit den Heiligen Geist, der auf seine Jünger und Jüngerinnen herabkommen sollte. Wie sonst hätten die Apostel etwas in Gang setzen können, was bis heute die Welt umspannt? Sie wurden zu „Gefäßen“, in denen der Heilige Geist lebte, aus denen er sprach und handelte. Auch das dürfen wir auf uns übertragen: Gott erfüllt uns mit seinem heiligen Geist, der uns befähigt, ihm dankbar und ehrfürchtig zu begegnen, die Menschen zu achten, das Schwere auszuhalten, Entscheidungen zum Guten zu treffen, uns seiner Führung anzuvertrauen, im Gebet mit ihm verbunden zu bleiben. Die österliche Zeit endet am 50. Tag nach Ostern, dem Pfingstfest, an dem wir der Ausgießung des Heiligen Geistes gedenken. In diesem Jahr fällt es auf den 8. Juni.
Mit einem Gedicht von Ludwig Hölty lade ich Sie ein, die Kraft und Schönheit der Natur im Mai bewusst wahrzunehmen und dann, wie es in der zweiten Strophe anklingt, Gott dafür staunend zu danken. Die österliche Zeit weitet unseren Blick über die sichtbare Welt hinaus. Der auferstandene Herr ist „im Geiste“, unsichtbar, bei uns. Halleluja.
Der Anger steht so grün, so grün,
die blauen Veilchenglocken blühn
und Schlüsselblumen drunter.
Der Wiesengrund ist schon so bunt
und färbt sich täglich bunter.
Drum komme, wem der Mai gefällt,
und freue sich der schönen Welt
und Gottes Vatergüte,
die diese Pracht hervorgebracht,
den Baum und seine Büte.
Ein beglückendes Frühjahr und eine gesegnete österliche Zeit wünscht Ihnen
Eva Nees