Dezember 2024: Andachtsbrief von Frau Eva Nees

„Lobt Gott, ihr Christen alle gleich“

Liebe Schwestern, Verwandte, Freunde, liebe Andachtsgemeinde,

wenn sich zu viel Gewohnheit eingeschlichen hat, ist es gut, einmal den Schalter umzulegen. Genau das geschieht mit dem ersten Adventssonntag. Ein neues Kirchenjahr beginnt. „Mit Ernst, o Menschenkinder, das Herz in euch bestellt“ mahnt uns Jochen Klepper. Die dazu nötige Stille ist aber ausgerechnet in der Adventszeit schwer zu finden. Das Bedürfnis nach Beisammensein und Geborgenheit ist groß, gerade in unseren friedlosen Zeiten. Die vertrauten adventlichen Rituale bieten uns genau das an. Bleiben wir aber nicht bei dieser schönen und heimeligen Adventsgestaltung stehen. Wagen wir es, in die Tiefe zu gehen und uns dem unsagbaren Geheimnis von Weihnachten, der Menschwerdung Gottes, anzunähern. Die Strophen des oben genannten Liedes, das Nikolaus Hermann im Jahre 1560 verfasst hat, mögen uns dabei helfen (GL Nr. 247, Ges.B. Nr. 27).

Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, in seinem höchsten Thron,
der heut schließt auf sein Himmelreich und schenkt uns seinen Sohn

Die erste Strophe spricht in Bildern zu uns. Gott wird „in seinem höchsten Thron“ vorgestellt. Vielleicht hatte der Verfasser dabei die Propheten Hesekiel/Ezechiel (Ez 1,26) und Jesaia (Jes 6,1) im Sinn, die Gott in einer Vision auf einem hohen und erhabenen Thron sehen durften. Dieser Gott schließt heute sein Himmelreich auf. Das Motiv der Türe und des Schlüssels begegnet uns in vielen Adventsliedern. Der verschlossene Raum Gottes kann wohl nur von innen geöffnet werden. Heute macht Gott uns ein Geschenk. Er schenkt uns seinen Sohn. Ob dieser überwältigenden Tat Gottes sind alle Christen aufgefordert, Gott zu loben.

Er kommt aus seines Vaters Schoß und wird ein Kindlein klein,
er liegt dort elend, nackt und bloß in einem Krippelein.

Nach dem freundlichen Bild des geöffneten Himmels wirft uns diese auf den ersten Blick unvorstellbare Aussage geradezu um. Zum Einen wird das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit angedeutet, zum Anderen verbinden wir das Wort Schoß eindeutig mit Weiblichkeit. Eine Frau empfängt ein Kind in ihrem Schoß und entlässt es bei der Geburt aus ihrem Schoß. Das „Kindlein klein“, das aus dem Schoß des Vaters hervorgeht, d. h. aus dem Innersten der heiligsten Dreifaltigkeit, der Sohn des Vaters, wird zum Kind der Jungfrau Maria und ist doch „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott“, wie wir im Großen Credo bekennen. Von dieser hohen theologischen Warte aus fällt unser Blick auf das in einer Futterkrippe in Betlehem liegende Kind, das aus der Gottheit heraus in sein irdisches Leben hinein geboren wurde.

Er äußert sich all seiner G`walt, wird niedrig und gering,
und nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding

Die dritte Strophe macht es uns nicht leichter. „Er äußert sich all seiner G`walt“ – vielleicht gehört dieser Satz zu denen, deren Sinn wir nicht mehr verstehen, und wir sind geneigt, eine modernere, verständlichere Sprache zu fordern. Jesus verzichtet auf seine Göttlichkeit. Er geht aus der All-Macht in die Ohn-Macht. Das Lied formuliert: Er „wird niedrig und gering und nimmt an eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding“. Der Apostel Paulus beschreibt es so: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen“ (Phil 2,6+7).

Heut schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis.
Der Cherub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob, Ehr und Preis.

Die vierte Strophe ist wieder in schöner Sprache verfasst, deren Bilder uns vertraut sind. Während in der ersten Strophe das Himmelreich von innen her aufgeschlossen wird, wird jetzt ein neuer Raum eröffnet, das Paradies, in das wir hinein gehen können. Bei genauerem Hinsehen sind beide Räume identisch. Der Cherub mit dem Flammenschwert (1 Mose 3,24), der den Zugang zum Paradies, d. h. zum ungetrübten Sein bei Gott, bewacht und versperrt, hat ausgedient. Gott sei Dank.

Trotz der Unfassbarkeit der Menschwerdung Gottes dürfen wir „wie Kinder fromm und fröhlich“ sein (Matthias Claudius). Wir dürfen uns an den Bräuchen und Köstlichkeiten der Advents- und Weihnachtszeit mit allen Sinnen und mit unserem ganzen Gemüt erfreuen.  Wir brauchen Symbole und Bräuche, um auszudrücken, was wir feiern. Wir lieben die Kerzen, den Duft, die Gewürze, die Pfefferkuchen und den Christstollen, die Sterne, die grünen Zweige, die Schwibbögen und die Lieder. Alles, was den Dezember so schön macht, soll unser Herz bereiten für die Feier der Geburt Christi und die Erkenntnis, dass Gott selber in unsere Welt gekommen ist.

Dass wir uns zu Weihnachten Schnee wünschen, hat vielleicht mit unserer Sehnsucht nach Frieden zu tun. So wie eine Schneedecke alles einhüllt und ruhig werden lässt, so möge sich Frieden über die Erde ausbreiten. Dass „Kummer und Harm“ in unserer unruhigen, sorgenvollen Zeit und in unserem privaten Umfeld schweigen mögen, wünschen wir uns sehnlich. Betrachten wir dieses Adventslied, das uns von Kindheit an vertraut ist, mit neuen Augen:

„Leise rieselt der Schnee, still und starr liegt der See.
Weihnachtlich glänzet der Wald. Freue dich, Christkind kommt bald!
In den Herzen wird’s warm. Still schweigt Kummer und Harm.
Sorge des Lebens verhallt. Freue dich, Christkind kommt bald!
Bald ist heilige Nacht. Chor der Engel erwacht.
Hört nur, wie lieblich es schallt! Freue dich, Christkind kommt bald!“

Vorweihnachtliche Freude und gläubige Erwartung der Festtage wünscht Ihnen

Eva Nees