Liebe Verwandte, Freunde und liebe Andachtsgemeinde,
Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
den schickt er in die weite Welt;
dem will er seine Wunder weisen
in Berg und Tal und Strom und Feld.
Die Bächlein von den Bergen springen,
die Lerchen schwirren hoch vor Lust.
Was sollt ich nicht mit ihnen singen
aus voller Kehl und frischer Brust?
Kein Geringerer als Joseph von Eichendorff lädt uns ein, die sommerliche Natur zu bewundern und, wenn nur irgend möglich, die heimischen Gefilde einmal zu verlassen, um neue Eindrücke zu gewinnen. Während der Coronapandemie haben viele Menschen den Campingurlaub wieder entdeckt. Erstaunlicherweise hat diese Beliebtheit nicht nachgelassen, im Gegenteil! Das einfache Leben in der freien Natur tut Körper, Geist und Seele gut, das Hamsterrad des Alltags kommt zum Stillstand. Am urtümlichsten ist das Leben im Zelt.
In der Bibel nimmt das Zelt eine bedeutende Rolle ein. Unauslöschlich hat sich gläubigen Juden die 40jährige Wanderung durch die Wüste eingeprägt, auf die sich ihre Vorväter nach dem Auszug aus Ägypten einlassen mussten. Sie wohnten in Zelten oder schnell zusammen gebauten Hütten. Im Laubhüttenfest feiern sie die Erinnerung daran.
Auch für Gott selbst wurde auf der Wanderung in das Gelobte Land ein Zelt erbaut, das Gotteszelt, die Hütte des Bundes. Darin gab es den abgetrennten Raum, das Allerheiligste, die kostbare Zeltwohnung für die Bundeslade mit den Gesetzestafeln, die Mose auf dem Sinai von Gott übergeben worden waren. Gott nahm diese Wohnung im Zeichen der Wolke in Besitz (2 Mose 33,7). „Dann verhüllte die Wolke das Offenbarungszelt, und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte die Wohnstätte“ (2 Mose 40,34).
Zur Zeit der Könige wollte David Gott einen Tempel bauen. Er überlegte: „Ich wohne in einem Haus aus Zedernholz, die Lade Gottes aber wohnt in einem Zelt“ (2 Sam 7,2). Doch Gott ließ ihm durch den Propheten Nathan ausrichten, er sei weiterhin mit einer Zeltwohnung zufrieden, aber Salomo werde den Tempel bauen. Im ersten Buch der Könige (1 Kön 6,1-38; 1 Kön 7,13-51) wird dann in aller Ausführlichkeit beschrieben, dass edle Hölzer und viel Gold verwendet wurden, um die Gotteswohnung im Tempel auszustatten. Und wieder „erfüllte die Herrlichkeit des Herrn das Haus des Herrn“ (1 Kön 8,10).
Aber Salomo war klar, dass Gott nicht an ein Haus gebunden ist. Er betete: „Siehe, selbst der Himmel und die Himmel der Himmel fassen dich nicht, wie viel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe“ (1 Kön 8,27). Aber den Menschen ist es – damals wie heute – ein Bedürfnis, Orte zu haben, an denen sie sich Gott näher fühlen. Ich vergleiche das durchaus mit unseren Kirchen und den jüdischen Synagogen, in denen das Ewige Licht auf die Gotteswohnung, den Tabernakel, verweist. Tabernakel heißt nichts anderes als Zelt.
„In deinem Zelt möchte ich Gast sein auf ewig“ betet der Psalmist (Ps 61,5).
Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung, ist wiederum vom Wohnen Gottes unter den Menschen die Rede. „Da hörte ich eine laute Stimme vom Thron her rufen: Seht, die Wohnung Gottes (das Zelt Gottes, die Hütte Gottes) unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er, Gott, wird bei ihnen sein“ (Off 21,3).
Ich frage jetzt bei Jesus selbst nach, wo und wie er wohnte. Als er etwa 30 Jahre alt war, verließ er sein Zuhause in Nazareth. Er war wohnungslos und auf die Gastfreundschaft wohlgesinnter Menschen angewiesen. Unterwegs schliefen er und seine Begleiter in Zelten oder in Höhlen. Einmal fragten ihn zwei der Jünger von Johannes dem Täufer: „Rabbi, wo wohnst du?“ (Joh 1,35-39). Und er lud sie spontan ein, ihn in dem Quartier, in dem er gerade untergekommen war, zu besuchen. Diese Begegnung mit Jesus hat sich ihnen so tief eingeprägt, dass sie nie die Uhrzeit vergaßen.
Obwohl Jesus gesagt hatte: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester. Der Menschensohn aber hat keinen Ort, an dem er sein Haupt hinlegen kann“ (Mt 8,20), stattet er den Begriff Wohnen doch mit großer Bedeutung aus. Im Abendmahlsaal spricht Jesus in seinen Trostworten an die Jünger: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten; mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen“ (Joh 14,23). Und weiterhin verspricht Jesus: „Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten?“ (Joh 14,2).
In der jetzt beginnenden Ferien- und Urlaubszeit werden wieder viele Menschen die Campingplätze aufsuchen und in Zelten wohnen. Die Nähe zum Erdboden und das einfache Leben in der Natur hilft ihnen, aus dem Hamsterrad es Alltags auszusteigen und zu sich zu kommen. Sie werden sich wohl kaum der biblischen Bedeutung des Zeltes bewusst sein. Aber wir dürfen uns durch den Anblick von Zelten an die symbolische Aussage erinnert fühlen: das Zelt als Bild für die Wohnung Gottes unter den Menschen.
Vielleicht wird der Urlaub auch zu einem Ausruhen bei Gott, denn Gott ist ja nicht an einen Ort gebunden. So wünschen wir allen, die sich auf Ferien und Urlaub freuen, Erholung für Leib und Seele, und allen Reisenden zu Lande, zu Wasser und in der Luft eine glückliche Heimkehr. Auch wenn Sie als Heimbewohnerinnen und -bewohner nicht mehr auf eine Urlaubsreise gehen könne, dürfen sie darauf vertrauen, dass Gott sein Zelt um Sie herum aufgeschlagen hat und dass Sie in SEINEM Zelt geborgen sind.
Andachtsbrief von Frau Eva Nees