Liebe Verwandte, Freunde und liebe Andachtsgemeinde,
ins frischen Grün des Monats Mai hat sich inzwischen leuchtendes Gelb gemischt. Rapsfelder, soweit das Auge reicht, Löwenzahnwiesen und Ginsterbüsche am Straßenrand sind eine große Einladung an die Bienen und eine Augenweide für die Menschen. Jetzt wird alles üppig, das Kraut und das Unkraut. In unnachahmlicher Weise hat Marie-Luise Kaschnitz diese Atmosphäre in ihrem Gedicht „Juni“ eingefangen. Wir dürfen uns über diese wunderbaren Bilder freuen, auch wenn wir an der Friedlosigkeit der Welt leiden.
Schön wie niemals sah ich jüngst die Erde. Einer Insel gleich trieb sie im Winde.
Prangend trug sie durch den reinen Himmel ihrer Jugend wunderbaren Glanz.
Funkelnd lagen ihre blauen Seen, ihre Ströme zwischen Wiesenufern.
Rauschen ging durch ihre lichten Wälder, große Vögel folgten ihrem Flug.
Bei den roten Häusern im Holunder trieben Kinder lärmend ihre Kreisel.
Singend flochten sie auf gelben Wiesen Ketten sich aus Halm und Löwenzahn.
Unaufhörlich neigten sich die grünen jungen Felder in des Windes Atem,
drehten sich der Mühlen schwere Flügel, neigten sich die Segel auf dem Haff.
Unaufhörlich trieb die junge Erde durch das siebenfache Licht des Himmels.
Flüchtig nur wie einer Wolke Schatten lag auf ihrem Angesicht die Nacht.
Schlagen wir noch einmal kurz die Brücke zum Mai zurück. Am letzten Sonntag des Monats haben wir das Fest der heiligen Dreifaltigkeit gefeiert, Trinitatis. Mit diesem Sonntag berühren wir ein unermessliches Geheimnis. Menschen können es nicht ergründen. Wir können es nur im Glauben annehmen. Wie in einem Brennpunkt fasst Trinitatis zusammen, was wir das ganze Kirchenjahr über feiern: aus dem Geheimnis der heiligen Dreifaltigkeit heraus ist Jesus Mensch geworden. In seiner Himmelfahrt kehrt er in dieses Geheimnis zurück.
Der auferstandene Herr ist jedoch nicht aus der Welt verschwunden, wie man leichthin meinen könnte. Einerseits ist er in die Herrlichkeit beim Vater zurück gekehrt, andererseits ist er auf eine neue, ungeahnte Weise bei uns geblieben. Unsichtbar geht er mit uns durch die Weltgeschichte bis zum Jüngsten Tag, wie er es versprochen hat.
Da wir den dreifaltigen Gott nicht darstellen können, haben Menschen Symbole dafür gefunden, z. B. ein dreiblättriges Kleeblatt oder das Dreieck. Drei bilden ein Ganzes. In manchen Kirchen findet man einen „Gnadenthron“. Gott Vater, als alter, ehrwürdiger Mann, auf einem Thron sitzend, hält das Kreuz mit Christus in seinen Händen. Auf seinen Schultern sitzt die Geisttaube. In der Basilika von Wechselburg in Sachsen ist das aber anders: über dem Kreuz Jesu wird uns Gott Vater, der die Geisttaube in der Hand hält, als gleichaltrig mit Jesus gezeigt gemäß den Worten Jesu: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30) oder „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh 14,9).
Dich, Gott Vater, ohne Ursprung und End,
dich Sohn, der liebend den Vater erkennt,
dich, Heiligen Geist, der aus beiden entbrennt,
dich eine hohe Dreifaltigkeit
preisen die Engel voll Seligkeit,
feiert auf Erden die Christenheit
jetzt und allezeit.
Dich Gott Vater, allgewaltig an Macht,
dich Sohn, der ewiges Heil uns gebracht,
dich heiligen Geist, der die Herzen entfacht,
dich eine hohe Dreifaltigkeit
preisen die Engel voll Seligkeit,
feiert auf Erden die Christenheit
jetzt und allezeit.
Mit dem Sonntag Trinitatis endete die Reihe der großen Feiertage im Mai 2024. In der evangelischen Kirche werden die folgenden Sonntage einfach „nach Trinitatis“ genannt; die katholischen Mitchristen zählen die Sonntage „im Jahreskreis“.
Die letzte Juniwoche hat es noch einmal in sich. Am 24. feiern wir den Johannistag. All das Blühen drängt auf die Reife zu. Johannisbeeren und Kirschen leuchten aus ihrem Blattwerk. Rosen haben sich entfaltet und beschenken uns mit ihrer Schönheit und ihrem Duft. Nachdenklich schauen wir in die Flammen des Johannisfeuers und nehmen zur Kenntnis, dass das zweite Halbjahr beginnt. Sozusagen als Wegbegleiter für diesem Übergang stehen die Apostel Petrus und Paulus bereit, deren Gedenktag wir am 29. Juni begehen.
Das Jahr steht auf der Höhe, die große Waage ruht.
Nun schenk uns deine Nähe und mach die Mitte gut.
Herr, zwischen Blühn und Reifen und Ende und Beginn
lass uns dein Wort ergreifen und wachsen auf dich hin.
Kaum ist der Tag am längsten, wächst wiederum die Nacht.
Begegne unsern Ängsten mit deiner Liebe macht.
Das Dunkle und das Helle, der Schmerz, das Glücklichsein,
nimmt alles seine Stelle in deiner Führung ein.
Das Jahr lehrt Abschied nehmen schon jetzt zur halben Zeit.
Wir sollen uns nicht grämen, nur wach sein und bereit,
die Tage loszulassen und was vergänglich ist,
das Ziel ins Auge fassen, das du, Herr, selber bist.
Mit diesem Lied von Detlev Block (1978) grüße ich Sie zum Monat Juni, der uns in eine neue Jahreszeit, den Sommer, hineinführt. Genießen Sie dankbar die Schönheit der Schöpfung!
Eva Nees